Unser YouTube-Kanal
Hier findest Du immer die aktuellen Videos von unserem YouTube-Kanal. Falls Du über neue Videos informiert werden möchtest, hast Du auch die Möglichkeit, den Kanal kostenlos zu abonnieren.
Das neueste Video von Maria Sanchez
Weitere Videos von und mit Maria Sanchez
In diesem Video lädt Dich Maria Sanchez zur Ressourcen-Übung „Der innere Garten“ ein. Wenn Du in Deinem Alltag eine Oase brauchst, ein bisschen „Urlaub von der Welt“ benötigst oder in Phasen, in denen sehr intensive innere Dynamiken in Dir aufkommen, vorübergehend auch „Urlaub von Dir selbst“ brauchst, kann Dir diese Ressourcenübung eine Unterstützung sein.
Hier spricht Maria Sanchez über verschiedene Arten der Scham und ihre versteckte Wirkung auf unsere psychischen und psychosomatischen Symptome, wie Depressionen, emotionales Essen usw.
Textversion des Videos
Hallo und einen schönen guten Tag. Ich begrüße dich sehr herzlich zu diesem Video. Heute möchte ich über ein Thema sprechen, welches aus meiner Sicht noch viel mehr Beachtung verdient, da es für viele Menschen ein großes Thema ist. Manchmal sogar ohne, dass sie es bisher vielleicht bewusst greifen können. Es geht nämlich um das Thema Scham. Es gibt ganz verschiedene Arten von Scham. Und in diesem Video möchte ich mich mit vier von ihnen beschäftigen. Und mir ist dabei ganz besonders wichtig, auch auf den Zusammenhang von Scham und unseren wiederkehrenden psychischen oder auch psychosomatischen Symptomen einzugehen. Denn viele Menschen wissen gar nichts von der großen Wirkkraft der Scham auf ihre Symptome, wie die Wirkkraft auf ihre Suchtstrukturen, auf ihre Depressionen usw. Dazu später in diesem Video noch mehr.
In der Psychologie unterscheidet man zwischen gesunder Scham und toxischer Scham und vielleicht erst einmal ganz grundsätzlich vorweg: Beide diese Arten von Scham gehen zunächst mit einer inneren Erstarrung einher. Wenn wir uns schämen, dann hält etwas in uns an. Der Unterschied zwischen gesunder Scham und toxischer Scham besteht darin, dass wir bei der gesunden Scham aus dieser Erstarrung wieder herausfinden können, während wir bei der toxischen Scham in dieser Erstarrung stecken bleiben.
Die gesunde Scham ist angeboren. Sie hat ihre Wurzeln in unserer evolutionsbiologischen Vergangenheit und sie hilft uns, dass wir überhaupt in einer Gruppe leben können. Jemand, der keine Scham empfindet, jemand, der schamlos ist, kann sich nicht auf eine Weise verhalten, dass er in einer Gemeinschaft mit Menschen gut leben kann. Denn diese Person würde quasi ständig über die Grenzen der anderen rübergehen und es gar nicht bemerken.
Denn ein gesundes Schamempfinden ermöglicht uns auch ein gesundes Lernen, damit wir uns den Normen und Werten der Gruppe, in der wir leben, anpassen können. Wir tun dann zum Beispiel etwas, was innerhalb der Gemeinschaft, in der wir eben leben, nicht okay ist. Wir schämen uns dann und können durch diese gesunde Scham auf eine gesunde Weise daraus lernen, sodass wir es dann beim nächsten Mal anders machen können. Damit dieses gesunde Lernen aber stattfinden kann, muss uns eine andere Person, während wir uns schämen, und das ist wichtig, während wir uns schämen. Während wir in dieser Scham uns befinden, muss uns eine andere Person die Hand reichen. Ich werde gleich noch näher darauf eingehen. Man könnte also bei der gesunden Scham auch von einer sozialen Regulation sprechen. Wir lernen uns dann eben den Regeln einer Gemeinschaft anzupassen. Und natürlich möchte ich dir gern dafür auch ein Beispiel nennen. Aber bevor ich das tue, würde ich gern zunächst den Blick auf die toxische Scham richten.
Bei der toxischen Scham gibt es kein gesundes Lernen. Bei der toxischen Scham geht es nicht darum, dass du bemerkst „Oh, ich habe etwas falsch gemacht oder etwas getan, was nicht in Ordnung war“, ich schäme mich dafür und lerne dann auf eine gute Weise daraus, sondern bei der toxischen Scham wirst du in deiner Scham alleine gelassen. Und es kann auch sein, dass bei der toxischen Scham oder bei der Entstehung von toxischer Scham jemand anderes Macht auf dich ausübt, indem diese Person eine Grenze bei dir überschreitet, bewusst oder unbewusst. Das kann nämlich wirklich sehr subtil sein, wie das geschehen kann.
Nehmen wir an, du bist als Kind in einer emotionalen Intimität mit dir selbst. Du spielst vielleicht mit deinen Puppen oder mit deinen, mit Figuren, und du führst dabei Selbstgespräche. Das heißt, du bist in einer inniglichen, privaten Zeit mit dir selbst. Und jetzt kommt deine Mutter mit ihrer Freundin herein und sie sehen dich, aber du bemerkst sie zunächst nicht. Und dann hörst du, wie deine Mutter zu ihrer Freundin sagt :„Ach, das ist immer so unglaublich süß, wenn sie da mit ihren Figuren spielt und dabei mit sich selbst spricht“, und vielleicht sogar wie sie auch vielleicht darüber lachen. Was dann passieren kann, ist, dass du sofort beginnst, dich zu schämen, weil jemand in deinen Intimraum eingetreten ist und dadurch eine Grenze zu deiner emotionalen Intimität überschritten hat. Und findet diese Grenzüberschreitung bei uns als Kind statt, dann erstarren wir zunächst und fühlen uns von jetzt auf gleich isoliert.
Und bei der toxischen Scham, wie ich eingangs meinte, kommen wir dann aus dieser Erstarrung nicht mehr raus. Toxische Scham geht dann mit einem Empfinden des sich entblößt fühlens oder des sich ausgeliefert fühlens einher, also mit einem Empfinden von innerer Ohnmacht. Und du bleibst dann - und deshalb eben toxische Scham - auf einer Ebene in dieser Situation emotional stecken. Selbst wenn du nach außen hin, um dein Gesicht vielleicht zu wahren, dich wieder normal verhalten würdest und dir gar nichts anmerken lassen würdest, würdest du dennoch in dieser Verwundung, in dieser Erstarrung, in dem, was dich tief getroffen hat, in dieser toxischen Scham stecken bleiben.
Als kleines Kind bist du vielleicht völlig fasziniert von neuen Dingen, die du in deiner Wohnung entdeckst. Und eine Sache hat es dir ganz besonders angetan und das ist ein Glasvase. Und beim Erkunden dieser Glasvase fällt diese plötzlich runter und geht kaputtUnd in deiner kindlichen Welt könnte es sogar sein - wenn du dich nicht zu doll erschrocken hast - dass du immer noch ganz fasziniert davon bist, weil der Gegenstand, die Vase, die du ja gerade eben zu erkunden begonnen hast, eben noch in der einen Form war und plötzlich, nachdem sie runtergefallen ist, in einer ganz anderen Form sich dann zeigt.
Und wenn dein Vater jetzt das mitbekommt - er hat vielleicht das Geräusch gehört - er bekommt es mit und schreit, weil diese Vase vielleicht ein Erbstück seiner Mutter war und du als Kind durch das Schreien deines Vaters dich erschreckst, dann ist es so, dass du sofort, natürlich sofort registrierst, dass du etwas getan hast, was nicht in Ordnung war. Du schämst dich. Du erstarrst. Und hier, genau an diesem Punkt, ist jetzt ein ganz wichtiger Punkt: Denn hier entscheidet sich jetzt für dich als Kind, ob daraus eine toxische Scham wird oder ob es eine gesunde Scham ist. Denn jetzt kommt es darauf an, ob dich deine Eltern aus der Scham, in der du bist, herausholen können. Wenn es eine gesunde Scham ist, dann würde dein Vater, nachdem er geschrien hat, das kann ja sein, wir sind Menschen, dass wir dann mal schreien. Dann würde sich dein Vater rasch besinnen, zu dir kommen und dich aus dieser Erstarrung herausholen.
Wenn er das tut, dann kannst du dadurch lernen, dass es eben nicht so gut ist, eine Vase kaputt zu machen und kannst daraufhin dich den Regeln der Gemeinschaft, in diesem Falle den Regeln der Familie, kannst du lernen, dich anzupassen.
Wenn dich aber dein Vater nicht aus der Scham herausholt und dich alleine lässt, dann wird für dich als Kind leider nicht deutlich, dass du einfach nur etwas, dass du einfach einen Fehler gemacht hast, sondern dann kann sich bei dir das Empfinden festsetzen, nicht, dass du einen Fehler gemacht hast, sondern dass du ein Fehler bist. Und wenn das öfter vorkommt, dann kann es auch traumatische Züge annehmen. Und wenn sich ein Kind schämt, oder wenn wir uns als Kind schämen, dann ist es sehr wichtig, dass unsere Eltern oder unsere Bezugspersonen das Beziehungsangebot machen. Wenn sie das nicht tun, wenn niemand kommt, dann kann es vorkommen, dass wir plötzlich als Kind, weil wir das nicht aushalten können, dieses Empfinden von kompletter Isolation von „Ich bin falsch, ich bin missraten“. Und dann gibt es Kinder, die dann von sich aus Beziehungsangebote machen. Aber wenn das geschieht, es gibt ja auch Kinder, die dann beginnen, sich zu entschuldigen. Sie wissen vielleicht gar nicht genau wofür, aber sie entschuldigen sich, damit der Vater oder die Mutter wieder etwas netter ist, etwas zugewandter ist aber in dem Fall ist die toxische Scham schon da.
Die toxische Scham kann eine so starke Wirkung entwickeln, dass du dich als Kind als so stark missraten, als ein Fehler empfindest, wie ich eben meinte, dass das mit einer Art von Scham einhergeht, die man als Existenzscham bezeichnen könnte. Wir fühlen dann unser Sein, unsere bloße Existenz als Fehler.
Und kein Mensch. Kein Mensch kann mit einer Existenzscham leben. Kein Mensch kann damit leben zu fühlen, dass seine Existenz falsch ist. Und weil das nicht möglich ist, weil das gar nicht geht, entwickeln viele Menschen dann Strukturen in sich, die das ganze Drama des sich falsch Fühlens, des sich peinlich Fühlens, das Drama des Verkehrtseins und Nichts dagegen tun können, dass sie dieses Drama auf eine andere Bühne - würden wir jetzt bei Essential Core und Sehnsucht und Hunger sagen - auf eine andere Bühne verlagern, wie zum Beispiel auf die Depressionsbühne oder auf die Essensbühne usw. Und deshalb sage ich eben auch so oft: Es geht im Kern nicht um das, was sich an der Oberfläche zunächst zeigt. Und das sage ich ja nicht, weil ich das, was Menschen sagen, nicht ernst nehmen würde. Ganz im Gegenteil. Das Leid kann ja so groß sein, so unendlich groß sein. Das kann ja wirklich die Hölle sein, in der Menschen sich da bewegen. Aber wenn wir glauben, es ginge um das, was sich eben an der Oberfläche zeigt, was sich an oberster Stelle zeigt, dann, dann bleiben wir auf das Symptom fokussiert, durch Reglementierungen oder durch irgendeine Art von mentalem Herumschrauben. Und zwar ganz gleich, wie liebevoll es vielleicht daherzukommen scheint. Dann bleiben wir auf dieser oberen Etage hängen und kommen nicht auf das eigentliche darunter. Wir lernen uns dann zu kontrollieren. Oder wir lernen uns dann innerlich zu optimieren.
Aber in der Tiefe heilen wir dadurch nicht. Und dann klatscht sich unser biografisches Schutzprogramm, wie ich es nenne, klatscht sich dann in die Hände, weil es uns durch das Fixiertbleiben auf der Symptomebene im Kreisverkehr hält. So ist der Schutz gewährleistet, dass wir nicht an den tieferen Schmerz kommen von „Ich bin falsch“. Deshalb - aus meiner Erfahrung zumindest - deshalb ist es für manche Menschen so dringend. Deswegen fühlen sich manche Menschen so unglaublich unter Druck, dass sie ihr Symptom sofort lösen müssen. Für sie fühlt es sich dann absolut existenziell an, was es auf einer tieferen Ebene auch tatsächlich ist. Natürlich gibt es auch noch andere Emotionen, die dabei involviert sind. Es geht ja nicht nur um Scham, wenn wir sehr schwer verletzt wurden. Und natürlich ist es auch wichtig, sich mit den anderen Emotionen auch zu beschäftigen. Aber in diesem Video ist der Fokus ja auf das Thema Scham gerichtet. Und wenn wir lernen, uns mehr und mehr zu begleiten, kommen wir Schritt für Schritt auf tiefere Ebenen unseres Ichs. Und dann kann es eben sehr gut sein, dass wir bemerken, dass wir in Bezug auf unsere wiederkehrenden, leidbringenden psychischen oder auch psychosomatischen Symptome, dass Scham dabei eine ganz große Rolle spielt, obwohl wir es zu Beginn vielleicht nicht mal vermutet hätten, dass es damit im Zusammenhang stehen könnte.
Und jeder Mensch, der mit Existenzscham zu tun hat, hat das Problem, dass die Kehrseite, dieses Feststeckens in der Schamerstarrung, dieses Feststecken in der Scham eine Scham-Rage ist. Das heißt, dass es neben der Schamerstarrung in der Regel auch eine unglaublich große Wut in uns gibt. Denn kein Mensch kann Erniedrigungen oder Demütigungen oder Ungerechtigkeiten einfach so ertragen.
Und in Bezug auf diese sehr starke Kopplung von Scham, von Scham und Wut spricht man eben dann von Scham-Rage. Und nun ist das Problem, dass unser biografisches Schutzprogramm diese Wut ja wiederum verurteilt. Wir schämen uns dann zum Beispiel für Wutgedanken, die wir haben. Dazu kann auch Neid gehören und bleiben genau dadurch, dass wir uns für diese Wut schämen, erneut im emotionalen Kreisverkehr stecken.
Und der emotionale Überdruck kann sich auf diese Weise also nie wirklich entladen. Wir sitzen dann wie auf einem Wutvulkan und deshalb gibt es eben für manche Menschen nur die Möglichkeit, diesen Überdruck über Suchtmittel oder über Suchthandlungen abzudämpfen, zumindest ein Stück weit abzudämpfen. Und über das permanente Kämpfen mit diesem oftmals unbewussten Überdruck kann es eben auch sein, dass Menschen sich ständig erschöpft fühlen und nicht verstehen, woher diese Erschöpfung denn eigentlich kommt. Denn in ihrem täglichen Leben machen sie vielleicht gar nicht so viel, aber innerlich, wenn sie auf einem Wutvulkan sitzen, wenn es zum Beispiel um Scham-Rage geht, innerlich kostet das enorm viel Kraft, diesen Druck die ganze Zeit zu kontrollieren. Wir haben wirklich gute Gründe für das, was wir denken, für das, was wir fühlen, für das, was wir tun. Und deshalb ist mir der Satz, den ich ja immer wieder sage „Mit dir ist nichts verkehrt“, schon jetzt ist mit dir nichts verkehrt. Schon jetzt nich, ist mir dieser Satz so wichtig. Und er klingt vielleicht erst mal schön, aber ich meine ihn wirklich in die tiefste Dimension hinein. Wir haben gute Gründe für das, was wir tun.
Ich möchte dich gern einladen, gerade auch im Hinblick auf dein psychisches oder psychosomatische Symptom, wie eben deine chronische Erschöpfung, deine Depression, deine Zwangsstörung, dein Essproblem usw. Ich möchte dich gerne einladen, wenn du magst, deinen Blick in nächster Zeit ein bisschen zu schärfen und vielleicht zu überprüfen, ob in Bezug auf dein chronisches Symptom Scham vielleicht im Orbit sein kann.
Das kann manchmal nochmal ganz neue Türen öffnen. Ja, ich danke dir für deine Aufmerksamkeit und wünsch dir alles Liebe. Deine Maria Sanchez.
Maria Sanchez spricht in diesem Video darüber, weshalb manche Symptome, trotz zahlreicher Bemühungen, einfach nicht ohne Weiteres heilen können.
Textversion des Videos
„Ich leide seit Jahren an einer Depression. Manchmal habe ich das Empfinden, ich würde mich selbst sabotieren. So, als ob etwas in mir an der Depression festhalten möchte. Kann das sein?“
Selbstsabotage, Selbstboykott oder auch innerer Schweinehund und all das, habe ich ja schon in anderen Videos oder auch in Interviews und in meinen Büchern einiges dazu gesagt. Vielleicht für diejenigen, die mich nicht kennen, nur ganz kurz an dieser Stelle erwähnt: Ich arbeite seit so vielen Jahren in der Begleitung von Menschen und habe selber einen extremen Heilungsweg erleben und erfahren können und dürfen und kann wirklich aus meiner Erfahrung heraus sagen, dass es keine Selbstsabotage und keinen Selbstboykott gibt. Es gibt auch keinen inneren Schweinehund. Wer das behauptet oder wer in diesem Fahrwasser sich bewegt, der ist im ewigen Kampf mit sich selbst, der hat aus meiner Erfahrung die alleroberste Eisspitze, die alleroberste Ebene von menschlichem Bewusstsein erfahren und hat die gesamten Räume, die darunter liegen, vielleicht noch gar nicht für sich entdecken können. Das wage ich wirklich zu sagen. Denn wenn Menschen zu mir gekommen sind und in diesen Kategorien gedacht und gefühlt haben, dass sie sich selbst boykottieren, dann war, wenn wir die die Selbstbegleitung, wenn sie gelernt haben, sich selbst zu begleiten und in viel tiefere Ich-Ebenen langsam vordringen konnten, sich herantasten konnten, dann ist da überhaupt nichts Böses, Schlimmes in uns. Dieses Menschenbild, was auf Kampf aufgebaut ist, ist ja zutiefst negativ. Und Krieg gegen uns selbst zu führen, kann nie zu dauerhaftem Frieden führen.
Deswegen kann ich nur immer wieder sagen, was ich ja so oft auch sage: Mit Dir ist nichts verkehrt. Wenn Du Dich im Kampf aufhältst, wenn Du Dich im Kampf mit Dir selbst aufreibst, dann hast Du gute Gründe dafür. Aber das ist der Startpunkt und nicht irgendetwas, was wie ein Gesetz in Stein gemeißelt ist, und jetzt musst Du Dich die ganze Zeit reglementieren, kontrollieren und ständig versuchen, etwas in Dir psychologisch oder spirituell oder mithilfe von psychologischen oder spirituellen Techniken zu amputieren. Wir Menschen sind so vielschichtige Wesen. Das wird unserem Menschsein nicht gerecht, wenn wir uns dermaßen einschlanken und wirklich glauben, es ginge an dieser Stelle darum, dass wir einen Krieg, einen Kampf gegen uns selbst führen müssen.
Das innere Mahnmal
Manchmal ist es so, dass es Seiten in uns gibt, die können nicht in eine Heilung eintreten, weil sie wie ein Zeugnis dafür sind, dass uns Unrecht angetan wurde, dass wir gelitten haben, als wenn ein Zeitzeuge sagen würde „Ich kann nicht zulassen, dass es mir wieder besser geht. Denn wenn es mir besser ginge, dann könnten andere denken, vor allem die Bezugsperson, in dem Fall der Vater oder die Mutter oder andere Menschen, die Dich verletzt haben, dann könnten andere denken „So schlimm war es ja gar nicht. Es geht Dir doch jetzt wieder gut. Wenn Du also jetzt wieder in Ordnung bist, dann kannst Du doch einfach weitermachen und dann können wir doch jetzt den Punkt setzen hinter dem Ganzen und dann kann es ja auch nicht so schlimm gewesen sein.“
Und es gibt manchmal innere Strukturen, die können nicht vom chronischen Symptom lassen, die können nicht von der Depression lassen, weil sie für eine Art Mahnmal stehen.
Der unbewusste Rachefeldzug
Und dieser Rachefeldzug, von dem ich eben sprach, kann sich zum Beispiel darin äußern, dass eine bestimmte Seite ihn mir nicht erlauben kann, dass eine biografische Person in den „Genuss“ kommen könnte, sich freier zu fühlen, weil eine Seite in mir über mein Symptom, über meine Depressionen – aber wie gesagt, Du kannst auch Übergewicht nehmen, Du kannst alles Mögliche nehmen – über mein chronisches Symptom immer wieder deutlich machen muss: „Guck her, das hast Du mit mir getan. Das ist das Ergebnis, wie Du mich behandelt hast“. Und das ist den Menschen natürlich am Anfang überhaupt nicht gewahr. Im Laufe der inneren Forschungsreise offenbaren sich ja langsam Dynamiken, von denen wir am Anfang überhaupt nichts wissen. Wir verstehen uns fühlend immer mehr. Wir lernen uns kennen und diese beiden Strömungen greifen natürlich ineinander: einmal der Mahnmalaspekt und einmal der Rachefeldzug. Aber wenn es darum geht, dass ich eine Rechnung offen habe mit einer biografischen Person, dann kann es sein, dass ich wirklich am Symptom festhalten muss, weil ich nicht erlauben kann, dass diese Person aus ihrer Schuld, dass ich sie herauslassen könnte. Ich kann sie innerlich dann nicht gehen lassen. Ich habe eine Rechnung mit ihr offen.
Die versteckte Reaktionsschleife
Wenn das innere Opfer in mir nicht genug Würdigung in mir finden kann, wenn ich das innere Opfer in mir nicht begleiten kann, dann bleibe ich in einer Reaktionsschleife mit meinen biografischen Tätern oder Täterinnen, mit meinen biografischen Bezugspersonen, die mich verwundet haben, bleibe ich in einer Reaktionsschleife hängen. Und ich habe ein großes Verständnis dafür, dass diese Ich-Seiten an dem Leiden festhalten müssen, weil sonst niemand mehr bezeugen kann, dass Unrecht geschehen ist und niemand darüber triumphieren darf aus Sicht dieser Ich-Seite in uns, dass ich jetzt wieder okay bin, dass ich gut im Leben dastehe, dass ich nicht mehr depressiv bin. Ich habe ein tiefes Mitgefühl dafür, dass bestimmte Seiten sagen „Das geht nicht. Dann bleibe ich zurück und dann kann die Wahrheit, dann kann das, was noch ausgedrückt werden möchte, die emotionale Wahrheit nicht ans Licht. Ich kann mich in dem Falle auf einer tiefen Ebene nicht selbst verraten. Das Unrecht muss einfach bezeugt werden, was man uns angetan hat.“
Dem inneren Opfer ein Mahnmal setzen
Schau mal, ob Du eine Zeit lang in Deiner Wohnung oder in Deinem Haus einen Platz finden kannst, den Du zum Mahnmalplatz erklärst, wo Du vielleicht ein Foto, ein Kinderfoto von Dir aufstellst, was einen Ausdruck repräsentiert, den Du mit Deinem chronischen Symptom in Verbindung bringst. Bei der Depression zum Beispiel könnte es ein Ausdruck von Angst sein oder ein Ausdruck von tiefer Traurigkeit sein, von „sich verloren fühlen“ sein. Und vielleicht gibt es ein Foto, was Du hast, ein Kinderfoto, das diesen Ausdruck eben repräsentiert. Wenn das so sein sollte, würde ich Dir ans Herz legen, nimm dieses Foto und gib in Deiner Wohnung oder in Deinem Haus an einem Platz diesem Foto einen Ort, wo dieses Opfer eine Würdigung findet, wo dieses Mahnmal sein kann. Wenn Du kein Kinderfoto von Dir hast, was das repräsentiert, kannst Du auch im Internet nach etwas schauen, nach einem Bild schauen, was diese Atmosphäre, diese emotionale Atmosphäre, zum Beispiel Traurigkeit, repräsentiert.
Das Wichtige ist, dass Du durch das äußere Würdigen dieses inneren Opfers und das eine Zeit lang im Raum stehen lässt. Du kannst auch eine Kerze anzünden oder eine Blume hinstellen, wie es für Dich okay ist. Mach es wirklich so, wie es stimmig ist, indem Du das tust und dann immer wieder mal ein paar Minuten Dich zu diesem Mahnmal setzt, auf das Foto schaust, mit Dir quasi in Kontakt trittst, passiert bei vielen Menschen eine ganze Menge innendrin. Es ist, als wenn Du dieser Ich-Seite, die ja eigentlich innerlich ist und jetzt nach außen von Dir im Außen dargestellt wird, als wenn Du eben dieser Seite in Dir, diesem Opfer sagen würdest „Du wirst nicht vergessen.“ Dass es eben langsam, aber sicher ein Daseinsrecht gibt für dieses Opfer. Und dass Du dann langsam auch weitergehen kannst UND das Opfer seinen Platz behalten kann. Dass ganz klar ist, Du wirst nicht vergessen. Oder wenn Du in einem Rachefeldzug bist, wenn Du merkst, da resoniert etwas in Dir von den Worten, die ich eben gesagt habe, dass wenn Du Dich zu diesem Mahnmal setzt, Du auch in Bezug auf die Rache ein bisschen dichter erforschen kannst, schauen kann, spüren kannst: Was passiert eigentlich da? Hol Dich ab, wo Du bist. Du musst nirgendwo anders stehen. Es geht hier um Dich. Es geht um Dein Leben. Es geht darum, wer Du bist und nicht, wer Du meinst, dass Du sein solltest. Mancher Heilungsweg beginnt mit Ablehnung, mit Selbstablehnung und Du hast gute Gründe dafür.